Menü Schließen
Johanna Laub
Doktorand_In, zweite Kohorte (2020-2023)

Vergangenheit in Bewegung: Anarchivische Dekonstruktionen in audiovisueller Gegenwartskunst

Der archival turn der Gegenwartskunst hat seit den 1990er-Jahren eine nachhaltige Auseinandersetzung mit Archiven hervorgebracht – nicht allein als Quellen, sondern ebenso als eine konzeptuelle Figur. Mein Dissertationsprojekt verfolgt in enger Auseinandersetzung mit Jacques Derridas Archivbegriff dekonstruktive künstlerische Praktiken in diesem Feld, um ihren zentralen Einsatz herauszuarbeiten: Ihre Erfahrbarmachung des Archivs als eine mediale Figur, die unseren Zugang zur Vergangenheit wie auch zur Zukunft strukturiert und ihre Vermittlung bedingt. Dies diskutiert die Arbeit anhand von Werken der zeitgenössischen audiovisuellen Kunst, unter anderem von Lawrence Abu Hamdan, Filipa César, Harun Farocki & Andrei Ujică, Onyeka Igwe, Hito Steyerl, Deborah Stratman und Ana Vaz, strukturiert anhand dreier Schwerpunkte: Die Ruinierung von Archiven, Archive als Orte der Heimsuchung und die echtzeitliche Produktion von Archiven.

Anarchivische Praktiken, so argumentiert die Dissertation, aktivieren die Aporien des Archivs: die Prekarität seiner Trägermedien, die Ursprungslosigkeit von Rekonstruktion, die Spektralität des Überlieferten, widerstreitende Zeitlichkeiten sowie die Latenz und Kontextabhängigkeit von Bedeutung. Indem sie die in Archiven angelegten Spannungen freilegen und halten, eröffnen sie einen Möglichkeitsraum, aus dem heraus Wissen und Erzählungen produziert werden. Die Vergangenheit erscheint nicht länger als abgeschlossen, sondern als in der Bedeutungsproduktion begriffen ­– in Bewegung. Diese Bewegung ist nicht nur eine, die den formalen Mitteln des Bewegtbilds entspringt; sie betrifft die Vergangenheit als ontologisches Gebilde.

 

Fig. 1:
Screenshot aus Fragments d'une révolution (anonym), 2011, 57 Min. © .Mille et Une. Films / L’atelier documentaire / LCP Assemblée Nationale / TVM Est parisien.
Fig. 2:
Screenshot aus Onyeka Igwe, No Archive Can Restore You, 2020, 5:54 Min. © Onyeka Igwe.
Fig. 3:
Filmstill aus Deborah Stratman, The Illinois Parables, 2016, 59:30 Min. © Deborah Stratman. Courtesy of Video Data Bank, www.vdb.org, School of the Art Institute of Chicago.

Profil

Johanna Laub ist Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin mit einem Fokus auf Kunst, die sich mit Wissensproduktion, Archiven und Geschichte auseinandersetzt, sowie der Schnittstelle zwischen Kunst- und Medienphilosophie. Sie studierte Kunstgeschichte an der Universität Leipzig und war anschließend als kuratorische Assistenz an der Schirn Kunsthalle Frankfurt tätig, wo sie an Ausstellungen zu moderner und zeitgenössischer Kunst arbeitete. Von 2020 bis 2023 war sie Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ an der Goethe-Universität Frankfurt; 2025 reichte sie ihre Dissertation ein. 2022 war sie Visiting Research Fellow an der Mel Hoppenheim School of Cinema der Concordia University in Montréal. Derzeit arbeitet sie als Programmkuratorin und -koordinatorin an der Hochschule für Bildende Künste–Städelschule in Frankfurt.

 

laub[at]tfm.uni-frankfurt.de

Mitglieder
Koordinator_in