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Asja Makarevic
Alumnus

Über Nachkriegskino hinaus. Historische Erfahrung und kulturelle Agency im postjugoslawischen Film

Bosnien und Herzegowina wird nach wie vor als Nachkriegsstaat erachtet und dies sowohl von seinen Bürger_innen als auch von außenstehenden Beobachter_innen.  “Nachkrieg” als Konzept impliziert, dass das Land und dessen Bürger_innen stärker an die Vergangenheit gebunden seien, als dass sie sich Richtung Zukunft orientieren würden. Eine Nachkriegsgesellschaft scheint permanent von der Vergangenheit überschattet zu sein, während die Zukunft kontinuierlich aufgeschoben wird. Paradoxerweise behält Bosnien und Herzegowina so lange eine spezifische Bedeutung im Weltgeschehen, solange die Zukunft in Schach gehalten wird und der Nachkriegszustand aufrecht erhalten bleibt. Dabei kann ein Leben im zeitlichen Vakuum der Nachkriegsverhältnisse keine Langzeitperspektive bieten. Aber wann und wie wird der Status einer Nachkriegsgesellschaft aufgehoben werden?

Krieg ist unvermeidbar das Hauptthema in zeitgenössischen postjugoslawischen Filmen. Die Kriegserfahrung tritt im Kino entweder durch konventionelle Repräsentation oder durch, wie mit einem Rückgriff auf ein Konzept von Gilles Deleuze formuliert werden kann, Strategien der Nicht-Repräsentation in den Vordergrund. Unter konventioneller Repräsentation verstehe ich Klischees und Bilder mit definierten und gefestigten Bedeutungen die keine weiteren Assoziationen eröffnen. Nicht-Repräsentation andererseits bezieht sich auf Bilder, die zu einem aufmerksamen Betrachten animieren, unterschiedliche und miteinander in Konflikt stehende Erfahrungen hervorrufen und die offen für multiple Bedeutungsebenen bleiben. 

Eine Reihe postjugoslawischer Filme, die ab dem Jahr 2001 produziert wurden, bedient die Zuseher_innen mit nicht-repräsentativen Bildern, die innovative Zugänge zur kollektiven Vergangenheit bieten, während sie zugleich die gegenwärtige Erfahrung in einen neuen Rahmen setzen. Was ich anrege, nicht-repräsentationale Bilder im postjugoslawischen Kino zu nennen, scheint mir eine dynamischere Beziehung zu Vergangenheit und Gegenwart anzubieten, wobei darin zugleich die komplexen Bildungsprozesse kollektiver wie individueller Identität, von Erinnerung, Schuld und Verantwortung reflektiert werden. Wenn diese Dynamiken den nicht-repräsentativen Bildern inhärent sind, können dann solche Bilder auch dazu beitragen, sich über die Nachkriegsverhältnisse hinweg zu setzen? Im Besonderen möchte ich untersuchen, wie zeitgenössische Bilder von Krieg an der Filmästhetik des postjugoslawischen Kinos mitschreiben und in welchem Umfang nicht-repräsentationale Strategien und deren Rezeption an einem Aussöhnungsprozess mitwirken.

Fig. 1:
1395 Days without Red/1395 dana bez crvene (Šejla Kamerić, Bosnien und Herzegowina 2011), DVD, Still.

Profil

Asja Makarevic ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.

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