In Deutschland wachsen keine Sternfrüchte. Home Videos der vietnamesischen Diaspora zwischen Identität, Zugehörigkeit und Zuhause
„Quê hương là chùm khế ngọt“ („Zuhause ist da, wo die Sternfrüchte süß schmecken“) besagt die erste Zeile eines beliebten vietnamesischen Volksliedes und Gedichts. In diesem Zusammenhang hat quê hương eine wichtige Bedeutung für Vietnames*innen und steht für ein vielschichtiges Konzept von „Heimat“, welches eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der kulturellen und emotionalen Identität spielt. Im Umkehrschluss stellt sich also die Frage, was Zuhause an einem Ort bedeutet, an dem keine Sternfrüchte wachsen.
„In Deutschland wachsen keine Sternfrüchte“ befasst sich genau mit dieser Problemstellung und untersucht, was „Heimat“ für individuelle und kollektive Identitäten der vietnamesischen Diaspora bedeuten kann, mit besonderem Fokus auf die neuen Bundesländer und die ehemalige DDR. Durch die Analyse von Home Videos aus meinem eigenen Familienarchiv möchte ich diesen Fragen nachgehen. Dabei greife ich unter anderem auf die Theorien von Sarah Ahmed, Claudia Castada, Anne-Marie Fortier und Mimi Shelter zurück, um einen Rahmen zu schaffen, der es ermöglicht, „Heimat“ und Migration neu zu denken. Die Konzepte der „uprootings“ (Entwurzelung) und „regroundings“ (Wieder-Verwurzelung) ermöglichen es, „Heimat“ und Migration im Hinblick auf die Vielfalt von Erfahrungen, Geschichten und Bevölkerungsgruppen sowie auf die Funktionsweise institutioneller Strukturen zu betrachten[1]. Dementsprechend betrachte ich Home Videos als eine filmische Praxis, die „uprootings“ in Vietnam und „regroundings“ in Deutschland dokumentieren kann, aber auch in den Beheimatungsprozessen der vietnamesischen Diaspora verflochten ist.
Da es schwierig ist, eine Linie zwischen dem Privaten und Politischen zu ziehen, möchte ich vor allem den Moment untersuchen, wo die Notwendigkeit entsteht, das Private politisch zu denken. Jener Moment begann für mich mit der Wiederentdeckung meines filmischen Familienarchivs. Das Ziel dieser Arbeit ist es nicht, einen einheitlichen Heimatbegriff für transnationale Identitäten zu finden, sondern vielmehr Vorstellungen von „Heimat“, Zuhause und Identität neu zu denken und zu verhandeln.
Für mein Projekt bin ich auf der Suche nach Menschen aus der vietnamesisch-deutschen Community, die mit mir ihre Familiengeschichten und Home Videos teilen möchten. Mehr Infos unter: https://www.instagram.com/quehuong.homemovies/
[1]Ahmed, Sara, Claudia Castada, Anne-Marie Fortier, und Mimi Shelter. 2003. Uprootings/Regroundings: Questions of Home and Migration. Oxford, New York: Berg Publishers.
Profil
Lisa Le Anh ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ an der Goethe-Universität Frankfurt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie absolvierte ihr Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften sowie der Filmkultur an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsinteressen umfassen Themen wie die postmigrantische Gesellschaft, Fragen der Zugehörigkeit und Identität, postkoloniale sowie (queer)feministische Theorie und Home Movies.