(Un)hörbare Netzwerke der Weimarer Republik: Eine experimentelle Gegengeschichte der Tonarbeit jenseits des Stummfilms
Das Handwerk der Geräuschemacherinnen fernab der Aufmerksamkeit auf Jack Foleys Aufnahme-Bühne
Trotz des wachsenden Bewusstseins für die vielfältigen, klanglichen Identitäten des vermeintlich ‚stummen‘ Stummfilms bleiben viele Akteur*innen der Tonarbeit wissenschaftlich vernachlässigt und historisch unsichtbar. Dies wird besonders in Bezug auf die Arbeiten von Geräuschemacher*innen deutlich, deren Partizipation in den Varieté-Kinos, Lichtspielhäusern und Produktionsstätten spärlich dokumentiert wurde. Vor allem die lange fehlende Anerkennung als eigenständige Berufskategorie in Hollywood sowie der vermeintliche sekundäre Status in der Produktionshierarchie, können als Katalysatoren für eine Marginalisierung auch in der in Deutschland praktizierten Filmgeschichtsforschung verstanden werden. Die Hierarchisierung zwischen Bild- und Tonarbeit wird gerade durch den Fußnotenstatus der frühen (und auch der späten) Geräuschemacher*innen sowie Tonarbeiter*innen der deutschen Filmgeschichte in Archiven, Sammlungen und Publikationen quantitativ deutlich. Ziel dieser Arbeit ist es, in Form von Fallstudien das Handwerk des Geräuschemachens als eine experimentelle Gegengeschichte zur deutschen Filmgeschichts-Narration zu begreifen. Diese gängige Narration soll anhand der Suche von kanonisch nicht-repräsentierten Akteur*innen hinterfragt werden. Das Forschungsvorhaben besteht darin, sich gerade mithilfe der Fetzen, Fragmente und Lücken – einschließlich ihrer Anekdoten, Spekulationen und Begriffsschwierigkeiten – auf die Suche nach den Geräuschemacher*innen des Weimarer Kinos zu begeben. Im Zentrum des Projekts steht die Erarbeitung einer Vernetzung von Akteur*innen der Tonarbeit, die nicht nur in der Filmbranche, sondern auch in der Radioindustrie, im Ausstellungskontext und in Kunst, Theater und Aufnahmestudios tätig waren. Jedoch versteht sich das Projekt nicht als epochal-historische Studie zum Weimarer Kino, sondern als Beitrag der Sichtbarmachung und Lokalisation von Tonarbeit im Filmproduktions- und Tonarbeitscluster während, um, als Teil oder abseits des viel erforschten Weimarer Kinos.
Profil
Simone Nowicki ist eine Doktorandin und Geräuschemacherin, die sich auf experimentelle Klangpraktiken und die Arbeitsgeschichte des Geräuschemachens im Film spezialisiert hat. Derzeit promoviert sie über die Geschichte und Bedeutung des Geräuschemachens im Film, wobei sie dessen experimentellen Charakter und marginalisierte Position innerhalb der traditionellen Kinogeschichte beleuchtet. Nowicki studierte, lehrte und forschte am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ist Mitglied im GFK-Graduiertenkolleg Konfigurationen des Films in Frankfurt am Main. Ihre Forschungsinteressen erstrecken sich auch auf transnationale Perspektiven auf das deutsche Filmexil, und sie ist Mitglied im DFG-Research-Netzwerk „Mapping German Film Exile“.
Neben ihrer akademischen Arbeit ist Nowicki auch künstlerisch tätig und realisiert als Geräuschemacherin auditive Kollaborationen mit Institutionen wie den Arolsen Archives, den Preußischen Museen zu Berlin und der documenta 15. Sie vertonte live das deutschlandweit erste Gaming-Konzert „Let’s Play“ in der Elbphilharmonie Hamburg. Für ihre innovative Vermittlung von Exilforschung mit dem Audiofeature „Verortung unmöglich?“ wurde sie 2022 mit dem Claus-Dieter Krohn Preis ausgezeichnet.
Im März 2024 begleitete sie das SWR-TV-Format „Handwerkskunst!“ in der Folge „Wie man eine Filmszene vertont“. Weitere Informationen über Simones Arbeit als Geräuschemacherin und Doktorandin finden Sie hier: https://www.simone-nowicki-foley.de/ und https://linktr.ee/simonenowicki
Publikationen:
Nowicki, Simone: Verzettelt. Der Nachlass von Günter Peter Straschek, in: Johannes Praetorius-Rhein, Lea Wohl Von Haselberg (eds.): Einblendungen. Elements of a Jewish Film History of the Federal Republic of Germany, Berlin: Noefelis publishing house, 2022.