Ein so wesentlicher wie offensichtlicher Unterschied zwischen den beiden Kunstformen Theateraufführung und Standbild liegt in ihrem jeweiligen Verhältnis zur Zeit und Bewegung. Während die Erste sich in der Gegenwart innerhalb eines fixierten Zeitrahmens ereignet, stellt Letztere ein eingefrorenes Fenster zur Vergangenheit dar. Aber selbst wenn die Aufführung im Hier und Jetzt verankert ist, verweisen die durch sie hervorgebrachten Posen, Gesten und Narrative auch immer über die Beschränkungen ihrer Dauer und Stilisierung hinaus auf im Gedächtnis verankerte Bilder hin. Wiederum erfährt das Standbild gerade in aktueller Rezeption eine performative Verlebendigung. Denn beiden Künsten ist eine Zirkularität und Reflexivität inhärent, welche beständig ihre vergangenen und andauernden Bedeutungskonstitutionen mittransportiert und auf konditionierte/konventionalisierte soziokulturelle Wissenssysteme verweist.
Auf der Hand als dem wohl bedeutendsten gestischen Instrument unseres Körpers sollte ein besonderes diskursives Augenmerk gelegt werden, bündelt diese doch konventionelle, ritualisierte und oftmals unhinterfragt imitierte Zeichensysteme im Jetzt, welche sich womöglich der eigenen Zukunft nicht bewusst sind.
Rebecca Schneider lädt uns ein anhand der Diskussion ihrer beidem Texte A Small History ((of)) Still Passing und That the Past May Yet Have Another Future: Gesture in the Times of Hands Up die visuelle Kultur sowohl in Bezug auf Performativität als auch Zeitlichkeit neu zu bewerten und damit als selbstverständlich angenommene Codes der Kommunikation durch eine ethische Selbstverantwortung (response-ability) zu hinterfragen. Indem dieser Appell an unsere „Antwortfähigkeit“ über rein kausal-instinktive Reaktionen hinaus die Auseinandersetzung mit politisch-autoritären Kontexten herausfordert, wird gleichermaßen die reflexive Qualität unseres Rezeptionsvermögens geschärft. Schneiders ethischer Blick erweitert das Feld der Performance Studies indem sie die Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Bewegung und Stillstand, (Schau-)Spiel und (un-)bewusstem Verhalten gleichermaßen hervorhebt wie auch nivelliert.
Rebecca Schneider ist Professorin für Performance Studies an der Brown University. Sie ist die Autorin von The Explicit Body in Performance (l997), Performing Remains: Art and War in Times of Theatrical Reenactment (2011), Theatre & History (2014), und Remain (mit Jussi Parikka, 2019). Sie hat über fünfzig Essays und Interviews in den Bereichen Performance Studies, Medienwissenschaften, Theaterwissenschaften, Visual Studies und Gender Studies verfasst. Sie ist außerdem Herausgeberin von drei Sonderausgaben von TDR (the drama review): on precarity and performance (mit Nicholas Ridout, 2012), new materialism and performance (2015), und social reproduction and performance (2018).