Mit Godard wird das Kino historisch, mit Akerman fängt es neu an: Das Werk der belgischen Regisseurin, Installationskünstlerin und Schriftstellerin Chantal Akerman (1950 – 2015) ist eine ausführliche und vielgestaltige Antwort auf die Frage, was im Kino noch möglich ist – jenseits der fast durchwegs männlichen Helden-Geschichte von Griffith bis Hitchcock, als deren Erben die Nouvelle Vague sich verstand.
Akermans Filme, wie JEANNE DIELMAN, 23, QUAI DU COMMERCE, 1080 BRUXELLES, JE TU IL ELLE, D’EST oder LA CAPTIVE, sind im Kino ohne Vorbild und prägen mit ihren bahnbrechenden feministischen Sichtweisen seit ihrem Erscheinen die Ausdrucksmöglichkeiten des Films. Akermans Ästhetik der Alltagserfahrung, ihr Überschreiten der Genregrenzen zwischen Spielfilm, Dokumentarfilm und Experimentalfilm, ihr Sinn für Dauer und Zeiterfahrung jenseits der Stechuhr-Dramaturgie des herkömmlichen Spielfilms machen sie zu einer Neuerfinderin der Formen des Kinos. Zugleich ist Akerman seit den 1970er Jahren eine Pionierin der filmischen Installation, mehr als zwei Jahrzehnte, bevor diese Form im Kunstbetrieb dominant wird.
Als Tochter von Holocaust-Überlebenden ist Chantal Akerman zudem eine singuläre Zeitzeugin der historischen Brüche und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts; die Auseinandersetzung mit jüdischem Leben durchzieht ihre Filme auf vielfältige und subtil reflektierende Weise. Immer wieder umkreist Akermans Schaffen besonders die Beziehung zu ihrer Mutter und die Frage der Familienzugehörigkeit. Wie kaum einer Regisseurin vor ihr gelingt es ihr, autobiographisches Material zum Stoff des Kinos zu machen.
Mit diesem bedeutenden Werk befassen sich in der Lecture & Film-Reihe „Die Erfinderin der Formen. Das Kino von Chantal Akerman“ neben Weggefährt/innen wie Babette Mangolte, Eric de Kuyper und Claire Atherton auch Kuratoren und Filmwissenschaftler/innen, darunter Tim Griffin, Ivone Margulies, Alisa Lebow, Patricia White und Laliv Melamed. Das vollständige Programm kann hier heruntergeladen werden.